Die heilende Kraft der Atmung

Erst mal Augen zu und einmal tief durchatmen! Na, hast du heute vielleicht gerade zum ersten Mal deine Atmung bewusst wahrgenommen? Meistens übernimmt nämlich unser vegetatives Nervensystem das Atmen für uns und wir müssen uns glücklicherweise nicht darum kümmern.

Heilende Kraft der Atmung

In unserer Sprache finden sich gängige Redewendungen, in denen die Wichtigkeit des Atems angedeutet wird: der Atem stockt, die Luft bleibt einem weg, man atmet erleichtert auf, man atmet durch. Hier fällt die direkte Verbindung von Atem und Emotion auf. Unsere Emotionen wiederum sind stark mit unserem Geist verknüpft, den wir mit Meditation und Yoga schulen können. Mit der Atmung haben wir also ein unmittelbares, mächtiges Werkzeug in der Hand.

Aber was ist „Atmung“ eigentlich?

„Der Geist ist der König der Sinne. Der Atem ist der König des Geistes.“
B.K.S. Iyengar

Anatomisch betrachtet

Die physiologisch wichtigste Aufgabe der Atmung ist es unsere Zellen ausreichend mit Sauerstoff zu versorgen. Das wird spätestens dann deutlich, wenn du versuchst zwei Minuten nicht zu atmen. Der Durchschnittserwachsene atmet etwa 15 Mal pro Minute und mit jeder Einatmung nehmen wir ca. 0,5 Liter Luft in uns auf. Bei der Atmung müssen verschiedene Bereiche im Körper reibungslos  zusammenarbeiten: Das Zwerchfell leistet 60-80 Prozent der notwendigen Muskelkraft für den Atemvorgang. Gleichzeitig sind aber auch Bauch- und Brustmuskulatur an der Atmung beteiligt.
Am wichtigsten ist aber natürlich die Lunge. Wusstest du, dass dieses Organ aussieht wie ein auf den Kopf gestellter Baum und von den unteren Rippenbögen bis zu den Schlüsselbeinen reicht? Während des Atemvorgangs verändern sich die zwei wichtigsten Hohlräume in unserem Körper: Bauch- und Brusthöhle. Beide tragen lebenswichtige Organe in sich und diese bekommen mit einer tiefen, gleichmäßigen Atmung eine herrliche Massage.

Der Atem im Yoga

Auch Patanjali, der Verfasser der Yoga-Sutras schreibt in Buch 2 Sadhana Pada über den Atem:

2.49 „Wenn der Fluss des üblichen Atems – unter der Voraussetzung einer guten Körperhaltung- ausgedehnt wird, dann ist das Pranayama, die Atemtechnik des Yoga.“

2.50 „Pranayama wird geübt mit umsichtigem Einfühlen in die Ausatmung, die Einatmung und das Anhalten, die Körpergegend in der sich die Atmung abspielt, die Länge jeder Atemphase und die Anzahl der Atemzüge. Dabei wird der Atem lang und zugleich sanft geführt.“

2.51 „Bei der vierten Art von Pranayama sind Aus- und Einatmung und das Anhalten kein Thema mehr, sie geschehen von allein.“

(Übersetzungen aus: Patanjali – Das Yogasutra, von der Erkenntnis zur Befreiung. Einführung, Übersetzung und Erläuterung von R. Sriram. Bielefeld 2006.)

Yoga wird oft als eine Bewegungsform mit achtsamer Atmung beschrieben. Besser wäre es, Yoga als eine Atemform zu verstehen, der Bewegungen folgen. Die Grundlage jeder Atemführung ist die Atembeobachtung, um seine eigenen Atemmuster kennenzulernen. Meist atmen wir unbewusst zu flach, zu begrenzt, zu angespannt – jeder auf seine eigene Art und Weise. Dies äußert sich in Verspannungen im Körper und Unruhe im Geist.
Als Teil des Yogaweges ist Pranayama hier essentiell: Verschiedenste Übungen zeigen, wie man mittels der Atmung aktivieren und munter machen, oder aber beruhigen und entspannen kann. In jedem Fall holt uns eine bewusste Führung des Atems in den gegenwärtigen Moment zurück und darum geht es uns beim Yoga und bei der Meditation.

Warum aber ist in den sozialen Medien der Hashtag #pranayamaeverydamnday nicht so populär wie #yogaeverydamnday?
Eine tägliche Pranayama Praxis erfordert etwas mehr Disziplin als eine Asana-Praxis. In der körperlichen Praxis ist es leichter unser monkey mind (citta) zum Schweigen zu bringen, da wir mit den Positionen beschäftigt sind. Wenn wir „nur“ sitzen und „nur“ atmen, neigt unser Geist dazu gelangweilt und genervt zu sein. Die subtile Arbeit mit der Atemführung ist anfangs also etwas schwieriger, dafür langfristig umso lohnender. Das Sanskrit Wort „Prana“ kann Atmung und Lebensenergie in all seinen Facetten bedeuten, daher sind Atemübungen auch nur eine Art von Pranayama.

Und wozu das ganze?

Hier ein paar Vorteile, die sich einstellen, wenn du eine regelmäßige Atem-Praxis praktizierst:

  • eine ausgeglichenere Grundeinstellung, da du mit der Atmung direkt auf deinen emotionalen Zustand Einfluss nehmen kannst
  • ein wacher, scharfer Geist und eine bessere Konzentrationsfähigkeit
  • eine bessere Versorgung des ganzen Körpers durch das Ausnutzen der vollen Lungenkapazität
  • eine Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens

Ein tiefer Atem schüttet außerdem vermehrt körpereigene Endorphine aus – wenn das nicht ein guter Grund ist öfter inne zu halten und einmal tief durchzuatmen.

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